Der Abend des Vertreters (2000)
Denn hier versucht einer, dem Naturalismus ebenso zu entgehen wie der simplen Ironisierung von Wirklichkeit. Die so oft gestellte Frage, ob dies nun das ultimative Buch über die DDR sei, sie wird vom Autor nicht wahrgenommen. Er hält sich an Erinnerungen, an Erfahrungen. Und schreibt seine Geschichte in Geschichten. Die Möglichkeit der literarischen Miniatur, die als Kunsterfahrung sichtbar wird, sie strukturiert diesen Roman. Und sie zeigt auch die Grenzen solchen Erzählens. Der Ich-Erzähler beschreibt wohl die Vergangenheit, aber er bedenkt sie nur ganz indirekt. Dieses Reflektieren ist dann schon ein anderer Schritt und wohl auch ein anderes Erzählmaß.
neue deutsche literatur
Es ließe sich räsonieren, Rainer Klis, erfahren im Schreiben von Kurzprosa und zumal von Prosaminiaturen, sei als debütierender Romancier ebendiesem Schreibmuster verhaftet geblieben und habe sich also mit purer Short-story-Addition zufrieden gegeben, wo er doch dem Erfordernis einer dem Roman entsprechenden Makrostruktur hätte gerecht werden müssen. Aber der Vorwurf würde im vorliegenden Fall nicht greifen. Denn die prosaistische Methode passt immerhin genau zu dem, was im Buch unterbreitet wird, zur Geschichte eines Lebens, das sich der schönen Idee eines sinnstiftenden Zusammenhanges entschieden verweigert.
Freie Presse
Sein erster Roman hat die Bündigkeit der kurzen Prosa, mit der er bekannt geworden ist. Der lakonische Ton der Geschichte lässt Dinge, die man eh zu wissen glaubt und die abgetragen erscheinen, hier wieder frisch in den Ohren klingen. Etwa die unumstößliche Tatsache, dass die glücklichen Zeiten im Leben oft nur recht kurz sind und meist von uns nicht wahrgenommen werden. An diesem Punkt langen wir jedenfalls nach 155 Seiten am Romanende mit Rudi Gelder an, wenn er in einer ziemlich tragikomischen Situation eine Art Lebensbilanz herausseufzt. Rudi hat sich eine Susi für Geld bestellt, doch als es klingelt, stehen eine Dame und ein Herr vor der Tür, die mit ihm über die Bibel und ihre Botschaft an Rudi Gelder - "Gott liebt Sie" - sprechen wollen. In die weihevolle Szene platzt Susi. Es ist der „Abend des Vertreters“ für Schmierfette. Hier ist Rudi Gelder angekommen, der dieses ängstliche Kind war, der einen liebevollen Großvater hatte, der selber einen Sohn zeugte und der einmal ein paar anständige Berufe hatte.
Sächsische Zeitung
Klis gibt keine Figur auf, nicht den unerbittlichen Vater, nicht einmal den miesen Stasi-Spitzel aus der Brigade. Er zeigt, dass selbst Fiesheit nur eine Form des Versagens ist, am meisten vor den eigenen Ansprüchen.
Die Union
Nicht dass hier eine bittere Bilanz gezogen würde, Rainer Klis kommentiert überhaupt nichts in seinem Roman. Er war um genaueste Beobachtungen und Beschreibungen bemüht und überlässt es den Lesern, sich darüber Gedanken zu machen. Ein Buch unverkennbar aus dem Osten - mit einem verstehenden Lächeln geschrieben, das irgendwie auch ein bisschen traurig ist.
Neues Deutschland
Der Ich-Erzähler, der Lyriker Rudi Gelder, beweist durch seine plastischdrastische Notierung, dass er das Zeug zum hochformatigen Prosaisten hat und dieser Mann ist ja, kaum verschlüsselt, Klis selber. Einige Proben seiner knappen, oft schockenden Schreibe: Onkel Harald entmannt den Liebhaber seiner Gattin „mit so einem Gummi, mit dem er seine Böcke kastriert“, nämlich, indem er ihm „die Eier abschnürt“. Damit nicht genug: Auf das Entsetzen des Zuhörers, dem dieser Vorgang berichtet wird, reagiert der Berichterstatter: „Wieso, was würdest du denn tun?“ Oder: Rudi erwartet Damenbesuch Susi: „Mir fiel ein, dass ich das Bett hätte vielleicht neu beziehen müssen.“ Kann einer diesen bestimmten Grad männlicher Verwahrlosung diskreter und zugleich doch angemessen miefig darstellen.
Freie Presse
Aber man wird doch noch mal sagen dürfen, daß man dies und jenes wiedererkannt hat aus dem Dasein eines Gußputzers und Gärtners und Indianer- und Zigarrenfans; eines Daseins voller Irrwitz und Ironie.
Eulenspiegel
Eine schöne Geschichte ist das, die Rainer Klis ganz unprätentiös erzählt, von Rudi und Tamara, von den Großeltern, von den Freunden Tschaikowski und Edgar und Sonja, der Stripperin. Und sie ist gottlob nicht gar so »vergnüglich«, diese Geschichte, wie der Waschzettel des Verlags zu suggerieren versucht.
SAX
Rainer Klis beschönigt nichts und belehrt niemanden, er verschafft, wie bereits in seinen Streifzügen durchs Indianerland, auch den heute befremdlich klingenden Stimmen Gehör. Dem 1955 in Karl-Marx-Stadt alias Chemnitz geborenen Autor - der übrigens 1989 das Neue Forum und dann die SPD in der DDR mitgegründet hat -, ist der Roman Der Abend des Vertreters zu einem vor allem konzeptionell überzeugenden Stück autobiografischer Miniatur-Prosa geraten.
Süddeutsche Zeitung
Schaut man genau, bleibt der Protagonist immer der gleiche Träumer. Kraft- und Orientierungslosigkeit gab es in der DDR und gibt es im vereinigten Deutschland, genau wie die in Rudi Gelders Familie verbreitete Schwermut, von der die Großmutter sagt, sie befalle Kommunisten und Christen: "Schwermut ist das Schlimmste, was es gibt."
Frankfurter Allgemeine