Nacht der Kavaliere (2003)
Klis’ Romanerstling, „Der Abend des Vertreters", hat zwischen 1970 und Mitte der 90er gespielt und einen porträtiert, der trotz Wende-Schwung keine Lust hat, Großes aus sich zu machen. Mit „Nacht der Kavaliere“ nun, die Handlungszeit schließt unmittelbar an, wird dem Kerl eine weibliche Figur an die Seite gestellt, die schon weiter ist mit ihren Einsichten. Sie weiß, was sie sich wert ist.
Der Leipziger Verlag Faber & Faber scheint dasselbe auch zu wissen Er hat das literarische Unternehmen als entstehende „Trilogie des Umbruchs" ausgewiesen. Man darf mithin mit Neugier fragen: Wo wird Rainer Klis wohl im dritten Buch ankommen, irgendwie scheint Gegenwart angesagt.
Mitteldeutsche Zeitung
Dieser nach Seitenlänge »kleine« Roman hat es in sich. Er ist mehr als eine Frauengeschichte oder ein »Sittenbild« aus den neuen Ländern. Er erinnert mich stark an Christoph Heins »Der fremde Freund« (1982). Ähnlich und ganz anders als dort und damals bringt Klis mit seiner Darstellung eine Lebenssituation auf den Punkt, ein Lebensgefühl, das viele betrifft: Flugversuche aus dem Nest Gefallener. Fast scheint es, Freia packt es. Doch das Buch heißt »Nacht der Kavaliere« - und wieder ist alles anders.
Neues Deutschland
Zudem erweist sich Klis erneut als ausgesprochener Könner in der Figurencharakterisierung durch wichtige Nebensächlichkeiten. Wer würde schon der Art und Weise Beachtung schenken, wie beispielsweise der Verkäufer in einem Uhrmachergeschäft einem Kunden das Wechselgeld hinblättert? Klis jedoch hält, was unserem flüchtigen Blick glatt entgehen würde, in der Beschreibung fest und gibt ihm gleich noch eine doppelte Bedeutung: Zum einen sagen die kleinen Gesten etwas über die Person, zum anderen aber auch über die Beobachterin, jene Schauspielerin, durch deren Augen Klis das Geschehen betrachtet.
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Der neue Roman "Nacht der Kavaliere" spielt im Theatermilieu und greift erzählerisch kräftig hinein. Eine Schauspielerin, die arbeitslos wird, macht das Leben zur Bühne. Doch wer sind ihre Partner? Vier Männer drängen sich als Liebhaber auf, die unterschiedlicher kaum sein können. Am Ende nimmt sie keinen von ihnen und schenkt sich einem Unbekannten. Man könnte von einem Verwirrspiel um Liebe und Beziehungen sprechen, aber muss präzisierend hinzufügen, dass dieses Verwirrspiel gleich Shakespeares "Sommernachtstraum" mit melancholischem Nebenton von der Vergeblichkeit idealer Paarungen spricht. Das Glück ist immer bei den anderen. Klis begnügt sich niemals mit der Komödie. Bei ihm geht es abgründiger zu!
Triangel - Das Kulturmagazin von MDR Figaro

Was Herr Mollweide im Keller macht,
geht uns gar nichts an

FÜR WARTESCHLANGEN
Rainer Klis lässt eine Frau im
Gefühlsstau herumstehen.

Es ist Sonnabendmorgen. Unser pubertierender Sohn stellt sich scheintot, damit er nicht aufstehen und zum Bäcker gehen muss. Also nehme ich den Brötchenbeutel vom Haken und mache mich leise auf den Weg. Weil die Brötchen unseres Bäckers wirklich gut sind und wie früher schmecken, bildet sich am Wochenende eine beachtliche Schlange, und der Meister kommt mit dem Backen nicht nach.
Ich stecke mir deshalb wie gewöhnlich ein Buch in die Tasche. Heute habe ich die "Nacht der Kavaliere" von Rainer Klis aus Hohenstein-Ernstthal dabei. Das Buch ist besonders schlangenfreundlich. Es ist handlich, wiegt 215 Gramm und ist in 28 kurze Kapitel untergliedert, was das Lesen im Stehen erheblich vereinfacht. Außerdem habe ich schon nach wenigen Seiten das Gefühl, dass der nostalgische Brötchenduft und die Atmosphäre der Bäcker-Schlange durchaus zu dem passen, was da erzählt wird. Nach dem Roman "Der Abend des Vertreters" kündigt der Verlag Klis' neues Buch als Band 2 einer "Trilogie des Umbruchs" an. Und zu einem Umbruch gehört der Blick zurück zwangsläufig dazu.
Der 1955 geborene Indianerkenner, Menschenfreund und Verfasser so reizvoller Kurzprosa wie "Aufstand der Leser" oder der Sehnsucht schürenden "Streifzüge durchs Indianerland" setzt uns in der Wohnung von Freia Friedrich ab, die gerade auf der Malerleiter steht und ihre Behausung renovieren will. Freia ist vierundvierzig, geschieden, Schauspielerin. Das Theater ist in der Krise, und zu den ersten Entlassenen gehört auch sie. Freia flüchtet sich in Träume, hofft doch noch auf eine Rolle, denn etwas anderes hat sie nie gelernt, und bis zur Rente hat sie noch einundzwanzig Jahre Zeit.
Auch ihre Beziehungen sind ein Fiasko. Keiner der Männer, die sie näher kennt, tut ihr gut. Da ist Harri, ihr Ehemaliger, der sie nach einer Affäre rausgeschmissen hat und die dreizehnjährige Tochter, die ihre Mutter erst einmal ablehnt, allein erzieht. Er spritzt sich Morphium, schläft mit einer anderen und fällt für weitere Lebensplanungen aus. Herbert Krause hingegen liebt Freia, und einmal fährt er mit ihr sogar nach Prag. Er ist verheiratet und hat, wenn er anruft, oft diesen "lch-brauche-dich-und-jetzt-springe-ich-aus-dem-Fenster-Ton" in der Stimme, den sie überhaupt nicht ausstehen kann. Im achten Kapitel lernt der Leser den Regisseur Theo Dasselfeld kennen, der Freia vor dreizehn Jahren im Stich gelassen hat und nicht glauben kann, dass er der Vater ihrer Tochter ist. Der vierte Verehrer hat Freia auf der Bühne gesehen, ist Uhrmacher, zehn Jahre jünger und ein seltsamer Schöngeist, der mächtig nervt ...

Der Gürtel bleibt dran

Eine junge Frau in Jeans und mit hochgestecktem Haar sieht mir schon seit geraumer Zeit über die Schulter und liest eifrig mit. "Es ist doch völlig unwahrscheinlich, dass eine Frau mit vierundvierzig, die plötzlich auf der Straße steht, so wenig über ihre Situation reflektiert und nur Kerle im Kopf haben soll", schimpft sie. "Ich finde es sowieso vermessen, wenn ein Mann in eine Frauenrolle schlüpft. Ich habe auch überhaupt kein Gesicht von ihr vor mir." – "Aber der Uhrmacher Rüdiger, der Liebesbriefe schreibt, noch Jungfrau ist und wie ein verhinderter Facharzt im weißen Kittel im Laden steht, der ist ihm doch gut gelungen", entgegne ich.
Von der Ladentür trennen uns jetzt nur noch wenige Meter. Weil wir wissen wollen, wie es weitergeht, lassen wir anderen den Vortritt und setzen die Lektüre gemeinsam fort. Auf Seite 47 betritt Freia, den prallen Müllbeutel vorm Bauch, den Fahrstuhl. Sie ist nur mit einem Bademantel bekleidet. Ein Stockwerk tiefer steigt ein "Pomadenhengstlein" zu. Schön duftend, aber unsicher und gewiss "von der Allianz, der Nürnberger oder der AOK", mutmaßt der Autor (und um solche köstlichen Beobachtungen beneide ich ihn schon). Obschon sie kurz mit diesem Gedanken spielt, löst Freia Friedrich den Gürtel ihres Bademantels nicht. Von dem Hengstlein erfahren wir nicht mal Herkunft und Namen. Dafür taucht einige Seiten weiter beim Kellnerwechsel ein Herr Mollweide auf. Wird einmalig erwähnt und verschwindet, und wir wissen nicht warum.
Dann ist die Reihe an uns. Wir nehmen unsere Brötchen in Empfang. Ich lasse mir noch die Telefonnummer meiner Mitleserin geben gegen das Versprechen, sie über den Fortgang der Handlung zu informieren.
Nach dem Frühstück überrascht mich die Mitteilung, dass eine von Freias Bekannten in ihrer Wohnung erschlagen wurde, nachdem sie beschlossen hatte, ihren Reichtum der Deutschen Künstlerhilfe zu vererben. Als meine Frau zum Essen ruft, feiert Freia Friedrich mit ihren so unterschiedlichen Verehrern gerade ihren fünfundvierzigsten Geburtstag. Theo bringt ihr sein Theaterstück und einen Vertrag vorbei. Als Freia zur Toilette will, bietet sich der Kellner an, ihr auch den Weinkeller zu zeigen. Und das überrascht mich nun doch ...
Ich wähle die Nummer der Frau aus der Schlange. Eine männliche Stimme ist am Apparat. "Richten Sie doch bitte ihrer Gattin aus, Herr Mollweide war mit der Friedrich im Keller!" Ehe der Mann etwas fragen kann, lege ich rasch auf.
WOLFGANG KNAPE in Sächsische Zeitung